Die Personenwahl ist ein fundamentales Wahlprinzip, bei dem Wähler:innen einzelne Kandidat:innen direkt auswählen, anstatt sich für ganze Parteilisten zu entscheiden. Diese Form der Stimmabgabe stellt die Persönlichkeit und Kompetenz der Kandidat:innen in den Mittelpunkt und gibt den Wähler:innen direkten Einfluss auf die personelle Zusammensetzung der zu wählenden Körperschaft.
Eine Personenwahl liegt vor, wenn einzelne Kandidat:innen als Personen gewählt werden und die Persönlichkeit der Bewerber:innen für den Wahlausgang entscheidend ist. Sie wird deshalb auch als Persönlichkeitswahl oder Mehrheitswahl bezeichnet, da meist der:die Kandidat:in mit den meisten Stimmen gewählt wird. Das zentrale Merkmal ist die direkte Auswahl von Personen anstelle von vorgefertigten Listen.
Bei einer Personenwahl haben Wähler:innen grundsätzlich so viele Stimmen, wie Mandate zu vergeben sind. In einem Betriebsrat mit neun Mitgliedern können beispielsweise bis zu neun Stimmen vergeben werden, wobei pro Kandidat:in nur eine Stimme zulässig ist. Die Wähler:innen müssen jedoch nicht alle verfügbaren Stimmen nutzen.
Im deutschen Bundestag erfolgt eine mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl, auch personalisierte Verhältniswahl genannt. Die Erststimme ist eine klassische Personenwahl: In jedem der 299 Wahlkreise wird eine:r Direktkandidat:in mit der relativen Mehrheit der Stimmen gewählt. Diese Person erhält ein Direktmandat und zieht unabhängig vom Gesamtergebnis ihrer Partei in den Bundestag ein.
Bei Kommunalwahlen variiert die Ausgestaltung je nach Bundesland erheblich. In Nordrhein-Westfalen kombiniert das System Personen- und Listenelemente: Wähler:innen wählen mit einer Stimme gleichzeitig eine:n Direktbewerber:in im Wahlbezirk und die Reserveliste der entsprechenden Partei.
Hessen praktiziert ein flexibles System mit starken Personenelementen: Wähler:innen haben so viele Stimmen wie Sitze zu vergeben sind und können diese kumulieren (mehrfach an dieselbe Person vergeben) oder panaschieren (auf verschiedene Listen verteilen). Dieses System ermöglicht maximale Wahlfreiheit bei der Personenauswahl.
Bürgermeister:innenwahlen sind klassische Personenwahlen nach dem Mehrheitsprinzip. Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhält. Bei Nichterreichen der absoluten Mehrheit findet eine Stichwahl zwischen den beiden bestplatzierten Kandidat:innen statt.
Besonders interessant sind Fälle mit nur einem Kandidaten: Auch dann gilt das Mehrheitsprinzip. Der Stimmzettel enthält die Optionen "Ja" oder "Nein", und der Kandidat ist nur gewählt, wenn er mehr "Ja" als "Nein" Stimmen erhält.
Im Betriebsverfassungsrecht ist die Personenwahl weit verbreitet. Sie erfolgt zwingend im vereinfachten Wahlverfahren (5 bis 100 Beschäftigte) und im normalen Wahlverfahren bei nur einer gültigen Kandidat:innenliste. Alle Kandidat:innen werden auf dem Stimmzettel aufgelistet, und die Wähler:innen können so viele Personen ankreuzen, wie Betriebsratsmitglieder zu wählen sind.
Direkter Wähler:inneneinfluss: Bei Personenwahlen bestimmen die Wähler:innen unmittelbar über die Zusammensetzung des zu wählenden Gremiums. Sie können gezielt diejenigen Kandidat:innen auswählen, die sie am meisten überzeugen.
Kandidat:innenorientierung: Die Persönlichkeit, Kompetenz und lokale Verankerung der Bewerber:innen steht im Vordergrund. Dies fördert die Rechenschaftspflicht gegenüber den Wähler:innen und stärkt die Verbindung zwischen Gewählten und Wähler:innen.
Flexibilität: Besonders in kommunalen Systemen mit Kumulieren und Panaschieren können Wähler:innen ihre Präferenzen sehr differenziert ausdrücken.
Benachteiligung unbekannter Kandidat:innen: Weniger bekannte oder neue Kandidat:innen haben schlechtere Chancen gegen etablierte Persönlichkeiten. Dies kann innovative Kräfte benachteiligen.
Komplexität: Personenwahlen mit mehreren zu vergebenden Stimmen sind für Wähler:innen komplexer als einfache Listenwahlen.
Gefahr der Personalisierung: Politik kann zu stark auf einzelne Persönlichkeiten fokussiert werden, während inhaltliche Positionen in den Hintergrund treten.
In der Europäischen Union existieren verschiedene Ausprägungen von Personenwahlen. Frankreich praktiziert die romanische Mehrheitswahl mit zwei Wahlgängen, bei der alle Kandidat:innen mit mindestens 12,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang zur Stichwahl zugelassen sind.
Das Vereinigte Königreich nutzte traditionell die relative Mehrheitswahl ("First Past the Post"), bei der der:die Kandidat:in mit den meisten Stimmen gewählt ist, auch ohne absolute Mehrheit.
Viele EU-Mitgliedstaaten kombinieren Verhältniswahl mit Personenelementen, um sowohl proportionale Repräsentation als auch direkten Kandidat:innenbezug zu ermöglichen.
Die Direktwahl von Verwaltungschefs hat sich in Deutschland durchgesetzt: Fast alle Bundesländer wählen ihre Bürgermeister:innen direkt. Diese Entwicklung stärkt die Position der Gewählten durch demokratische Legitimation, kann aber auch zu Spannungen mit den Gemeinderäten führen.
Digitalisierung verändert auch Personenwahlen: Online-Systeme müssen die Wahlfreiheit bei mehreren Stimmen technisch abbilden und dabei die Wahlgeheimnis gewährleisten.
Die Geschlechterparität bleibt eine Herausforderung: Personenwahlen können traditionelle Rollenmuster verstärken, da bekannte (oft männliche) Kandidaten bevorzugt werden.
Personenwahlen werden zunehmend wichtiger, da Bürger:innen direkten Einfluss auf politische Entscheidungsträger:innen wünschen. Gleichzeitig erfordern komplexe politische Herausforderungen sowohl persönliche Kompetenz als auch inhaltliche Programme.
Die Kombination aus Personen- und Listelementen, wie sie in vielen deutschen Wahlsystemen praktiziert wird, könnte wegweisend für die Entwicklung demokratischer Wahlverfahren sein. Sie verbindet die Vorteile direkter Kandidat:innenauswahl mit proportionaler Repräsentation verschiedener politischer Richtungen.
Die Personenwahl ist ein zentrales Element demokratischer Teilhabe, das Wähler:innen direkten Einfluss auf die Auswahl ihrer Repräsentant:innen gibt. Obwohl sie Herausforderungen mit sich bringt, stärkt sie die Verbindung zwischen Gewählten und Wähler:innen und fördert die Rechenschaftspflicht in der Politik. In einer Zeit zunehmender Politikverdrossenheit kann die Personenwahl dazu beitragen, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu stärken